Wiedersehen mit Gewalt.
Am Rande unseres Bundestreffens

"Eigentlich müsste ich jo nach’m Messejelände raus" das waren die ersten Worte , die ich in Hannover hörte. Gesprochen im schönsten westpreussischen Dialekt. Und das ausgerechnet in der Hochburg der deutschen Sprache, dem Stolz aller patriotischen Niedersachsen. Die waren allerdings an diesem Tage des Westpreussentreffens weitaus in der Minderzahl vertreten, denn fragte man in der Stadt einmal nach dem Weg, kam’s bestimmt zur Antwort: "Ja, ich weiss auch nich!"

Irgendwie gelang es mir an diesem Tag aber doch, den Weg in mein Stammlokal zu finden: Wenn ich nicht Westpreusse wäre und mich so leicht nichts aus der Ruhe bringen könnte, dann wäre ich gleich beim Betreten des Lokals umgekehrt. Da waren ja ganze Kompanien von Westpreussen anmarschiert, die alle Bekannte oder den Weg zur "Quelle" suchten (Gemeint ist das ausgezeichnete niedersächsische Bier!) Allen, die an diesem Treffen nicht teilnehmen konnten sei gesagt, dass sich der Bierdurst sehr einfach durch das Fehlen der kleinsten Wolken am sommerlich blauen Himmel über Hannover erklären lässt. Mit einigen Mühe gelang es mir, ein Tisch zu ergattern. Er spielt nämlich keine Rolle, dass ich als Bromberger unter Thornern sass, wer mich finden wollte, der konnte es auch hier. Die freien Stühle am Tisch hatte ich mit einiger Mühe zu verteidigen bis meine Angehörigen kamen und wie nun gemeinsam die Massen an uns vorbeiströmen liessen.

In jedem Westpreussen scheint ein Detektiv zu stecken Denn jeder der sich in diesem Wülfeler Biergarten sehen liess hatte sich einer kritischen Musterung zu unterziehen, ob man ihn vielleicht kenne. Ich befürchtete das Schlimmste. Wir waren nämlich in Bromberg ziemlich bekannt gewesen. Ausserdem hatte ich Durst. Ich schlug mich also im wahrsten Sinne des Wortes zur Theke durch Wenn im Garten ganze Kompanien von Westpreussen waren, dann belegten hier Armeekorps die Theke. Man klöhnte hier in der Kühle und wartete geduldig auf sein Helles. Die einzigen die hier unter diesen Menschen die Ruhe verloren, waren die Ober. Sie brüllten, wenn sie sich den Weg durch die Massen bahnten. Man hätte sie vorher darüber aufklären sollen, dass Westpreussen hier ein Heimattreffen veranstalten und sich in Ruhe einiges zu erzählen hatte. Die schwitzenden und schreienden Ober lernten das aber nicht und statt Anschnauzern verteilten sie jetzt harte Püffe. Da half, und ihre "Vorfahrt" war gesichert.

Draussen hatte sich inzwischen die Verwandtschaft eingefunden. Man klöhnte und spannte, als es zu heiss wurde, den Regenschirm al Sonnenschutz auf. Unser Tisch war dummerweise der erste, der das tat. Jetzt blickte man zu uns herüber, erkannte uns und kam fröhlich winkend heran. Mir wurde angst. Und diese Angst war nicht unbegründet.

An diesem Tag habe ich mehr Hände geschüttelt als sonst in einem Jahr. Ich weiss nicht mehr wie oft ich "Guten Tag" sagte. Ich weiss nicht mehr wie oft ich hörte: " Sind Sie aber gross geworden!" Als wir vertrieben wurden war ich sieben Jahre alt und erreichte vielleicht die Höhe, in der sich jetzt mein Hosengürtel befindet. Man hatte mich wohl in dieser Miniaturausgabe in Erinnerung behalten und konnte nun gar nicht verstehen, wie ich inzwischen auf 1.90 gekommen bin. Ich bin noch heute tieftraurig, dass ich alle die lieben Freunde so enttäuschen musste ! Aber ob sie sich gefreut hätten wenn ich mit einem Kinderauto gefahren wäre und verschämt gesagt hätte, indem ich den Finger an die Nase legte "ich bin der tleine Dieta B. aus Bromberch?" Vielleicht mache ich es beim nächsten Treffen.

Ich glaube ich bin zu Hause ein bunter Hund gewesen Denn mich kannte jeder. Oder hatte ich so viele Obstgärten heimgesucht? Oder ich habe mich damals mit vielen geschlagen als ich mit ihnen spielte. Plötzlich steht nämlich ein etwa 30 jähriger Herr vor mir und sagt, dass ich ihn unbedingt kennen müsste. Ich bin ganz sicher, dass ich ihn einmal gekannt habe, aber jetzt? Nein, ich konnte mich nicht erinnern "Aber ich bin doch der Paul, mit dem Sie immer gespielt haben. Ich war damals schon im Jungvolk! " Ich schalte immer noch nicht "Wir haben doch Garten so manches Mal Indianer gespielt" Bei mir hat es den Anschein, als hätte ich nie etwas wie ein Gedächtnis gehabt " Aber sie wissen doch , da war doch die kleine Karin!" Stimmt. Karin kenne ich, aber Paul nicht mehr. Paul zieht Bilder hervor. Darauf sind in bunter Folge ganze Horden von Jungen und Mädchen. Manchmal sieht man auch im Hintergrund einen dunklen Punkt. Wie mit Paul erklärt soll ich das ein. Ich muss es glauben, denn ich habe keine Gegenbeweise. Obgleich ich heute ziemlich sicher bin, dass dieser dunkle Punkt bestimmt ein Fussball war. Paul erzählt weiter. Ich komme mir langsam komisch vor. Schliesslich tut mir Paul leid. Er ist hergekommen um alte Freunde zu treffen. Als wir und das letzte mal sahen muss er 14 Jahre alt gewesen sein und ich noch ein halbes Baby. Ich kann mich beim besten Wissen nicht erinnern .Aber ich gebe mir Mühe ihn das nicht merken zu lassen .So scheint mir also plötzlich ein Licht aufzugehen. "Ach ja ich erinnere mich. Sie waren der Paul mit dem ich immer Indianer spielte !" Er strahlt ob meines guten Gedächtnisse" Ich habe zuhause auch noch ein Bild, auf dem Sie drauf sind, und die Dritte im Bunde war doch bei uns immer di Karin!" Paul freut sich .Wir rauchen eine Zigarette zusammen und klöhnen. Dabei stellt sich heraus, dass Paul ein netter Kerl ist. Wenn er dass auch früher schon war, dann habe ich bestimmt gern mit ihm gespielt. Aber so ganz sicher bin ich mir im Grunde heute doch noch nicht, ob ich es wirklich war, mit dem er zusammen spielte.

Der Tag geht langsam vorbei, die Heerhaufen ziehen nach Hause. Ich schüttelte wieder Hände von Leuten, an die ich mich kaum erinnere. Und die mir sagen, dass ich wie mein Vater aussehe .Es sind dieselben, die meiner Schwester sagen sie sei ganz die Mutter. Man freut sich augenscheinlich uns hier getroffen zu haben und wenn man dabei auch bloss feststellen konnte, dass "der Junge" aber gewachsen ist, und sich sehr verändert hat. Als ob ich nicht wüsste, dass 11 Jahre nicht so ganz spurlos vorbeigehen! Immerhin ist der Effekt des vielen Händeschüttelns dass ich nachher einen leichten Krampf im rechten Arm habe.

Trotzdem, ich komme auch zum nächsten grossen Treffen wieder. Aber dann werde ich mir einen grossen Bart ins Gesicht kleben. Und allen sagen, ich sei der Kleinbauer X aus Gross Y Dann sagt nämlich keiner dass ich sehr gewachsen bin und ganz wie Vater aussehe. Man wird mich nicht kennen und ich brauche keine Hände zu schütteln. Ich werde mich dann freuen, unter Landsleuten zu sein. Ich werde mich freuen, wieder westpreussischen Dialekt zu hören und westpreussische Bauerngesichter zu sehen. Ich werde mich freuen, Heimat zu erleben, ohne dass man mir sagt wie gross ich geworden bin.

Dieter Bromund

Aus: Der Westpreusse 8.1956, 16 (5.August 1956) S.6f.
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