von Delia Güssefeld
1915 lernte Hannah Höch in Berlin den späteren "Dadasophen" Raoul Hausmann kennen. Schon in einem seiner ersten Briefe ans sie äußert er den Wunsch, ein Kind mit ihr zu haben. (2)Er war zwar seit langem mit der Musikerin Elfriede Schaeffer verheiratet und hatte eine damals siebenjährige Tochter. Mit Hannah Höch wollte er jedoch nichts anderes als eine Sohn. Wollte er eine Familie mit ihr gründen? Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Kind oder Nicht-Kind von 1915 bis 1922, dem Ende ihrer Beziehung durch die zahllosen Briefe Hausmanns an Höch 3) Sie soll und will das Kind nur nach "unbefleckter Empfängnis " gebären, in "jungfräulicher Reinheit" das materielle Produkt der theoretischen Bemühungen Hausmanns hervorbringen: den "Neuen Menschen" zu dem Hausmann sich nicht enwickeln mochte. Soziale und sozialutopische Überlegungen spielten hier ineinander, denn Hausmann konnte sich erst 1919 von Elfriede Schaeffer scheiden lassen, trennte sich aber nie ganz von ihr und heiratete auch Hannah Höch nicht. .
Um 1920 war die Frau den Zeitumständen entsprechend das "Urweib" oder "Weltenmutter" Gegenstand derErlösungsphantasien vieler männlicher Künstler. Neben Heinrich Vogeler malt auch Otto Dix sein Mondweib Otto Freundlich verankert "Die Mutter" in der Ideenwelt seines kosmischen Kommunismus.Es wurden Junggesellenmaschinen" (Duchamp u.a.) konstruiert. Kurt Schwitters beginnt seinen Merzbau als "Kathedrale des erotischen Elends". .
Und Hannah Höch malt "Vereinigungen" (oder "Paradies: Neue Fassung) Im Zentrum des Bildes stehen zwei verschlungene, in einem aktiven Befruchtungsvorgang sich befindliche Pflanzen, deren Blüten aus Maschinenteilen bestehen. Seitlich erheben sich zwei durch eine dünnes Kabel verbundene Pflanzenstengel. Ein kleiner zweigliedriger Greifer zieht an vier Fäden vier Wägelchen von rechts ins Bild, eines trägt den Wegweiser "Berlin". In zwei Häuschen auf zwei Wagen sitzen sich die Hände reichend zwei Menschen -offensichtlich Mann und Frau.Die aus Schornsteinen steigenden Rauchsäulen bilden in einiger Höhe eine einzige Wolke. Auf das vierte Wägelchen plaziert Höch eine Kirche.Sehen wir Hausmann und Höch auf dem Wege nach Berlin, auch ohne den Segen der Kirche sich vereinend? Am Himmel ballen sich hölzerne, fest miteinander verschraubte Kometen: kosmische Vorgänge als vom Menschenhirn erdachte Laubsägearbeiten? Höch geht es primär um irdische Probleme, und die kompensatorischen Ideenwelten ihrer Kollegen macht sie hier - auch - lächerlich.
In einem versteckten Selbstportrait, dem melancholischen Bild "Frau und Saturn" malt sich Höch 1922 mit ihrem Baby im Arm. Geschlossene Augen, die formale und farbliche Einheitlichketi der Darstellung von Mutter und Kind weisen auf die irreale, erträumte Situation. Der mit finsterer Miene und den Zügen Raoul Hausmanns versehene göttliche Saturn zeigt sich maskenhaft, dunkel und schicksalbestimmend hinter ihr. Als Höch 1916 schwanger war, ließ sie gegen Hausmanns Willen - einen Abbruch machen und bestand weiterhin darauf, daß das Verhältnis nicht publik wurde. Die Verbindung mit einem "intellektuellen Habenichts" konnte sie leicht ihre gerade errungene, unabhängige Stellung verlieren lassen.Sie arbeitete halbtags als Entwurfszeichnerin im Ullstein Verlag und hatte eine eigene Atelierwohung, in der auch Hausmann wohnte. Ein "Konkubinat " war strafbar und Berlin-Friedenau ein gutbürgerliches Beamtenviertel, in dem sich sicherlich männliche Künstler Eskapaden erlauben konnten, weibliche dagegen nicht. Trotzdem war Höch nicht nur intelligent, gut aussehend, fleißig und "aus gutem Hause", sondern auch mutig und entschlossen ihr Lebensglück mit eigener Hand zu verwirklichen. Ihr Ziel war es, als Ehefrau eines selbstausgewählten Mannes ihr Leben als Künstlerin und Mutter von Wunschkindern zu gestalten. Mit diesen Vorstellungen brachte sie auch einen weiteren Schwangerschaftsabbruch Anfang 1918 hinter sich, denn bei Hausmann war weder an ein Eheversprechen noch an eine finanzielle Absicherung zu denken. Einen Lichtblick in letzterer Hinsicht boten erst die lukrativ vielversprechenden Dada-Veranstaltungen ab April 1918.
Trotzdem blieb die Lage für beide unerträglich, denn Hausmann entwickelte Verhaltensweisen, deren Berechtigung für Ehemänner damals außer Zweifel stand, die aber für die Person eines Avantgardisten durchaus nicht leicht zu rechtfertigen waren. Er versuchte verzeifelt seine gewalttätigen Ausbrüche, um die es sich nämlich handelte, durch psychologische Ausdeutungen zu relativieren, und auch Höch glaubte fest an ihre eigenen "heiligen " Kräfte als Liebende. Aber gleichzeitig stand sie mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen, wußte um die Mühen der Kindererzieung aus jahrelanger Erfahrung mit ihren vier kleineren Geschwistern. Ebenso kannte sie die Frauen um den Schriftsteller Franz Jung, die ein dem ihren verwandtes Drama spielten, in welchem Kinder bei Großeltern aufwuchsen und keine Rolle in den Zukunftsvisionen iher Eltern zu spielen imstande waren. Des engen Freundes oder Oberdada Johannes Baader Frau, Mutter seiner eigenen vier Kinder verhungerte in dieser Zeit. Höch Freundin, die Malerin Maria Uhden und Ehfrau des Dadaisten Georg Schrimpf starb im Kindbett 1918. Aufregende und schwere Frauenschicksale spielten sich in der direkten Umgebung von Höch ab, ganz abgesehen von den direkten Opfern der Kriegs- und Revolutionszeit. 1922 stellte sie eine kleine Gebärende mit ihrer Hebamme in einem kleinen gefängnisartigen Innenraum dar. 1931 beteiligt sie sich mit dem Bild einer halbverhungerten, alten Muter an der Ausstellung "Frauen in Not" gegen den Abtreibungsparagraphen 218. Nichtdestotrotz blieb das kleine Kind ihr ein Symbol für die bessere Zukunft.Höch sah die allgemeingültigen Aspekte ihrer Aueinandersetzungen mit Hausmann und betitelte ihre Gemälde dementsprechend.
Eine weiteres ihrer als versteckte Doppelportraits zu interpretierenden Werke ist "Zwei Köpfe"( oder "Die unsichtbare Brücke") Auf Sockeln stehen zwei einander zugewandte Köpfe, die physiognomisch als die Hausmann und Höchs gekennzeichnet sind. Sie erinnern an den 1921 von Hausmann zur Kennzeichung des "Geistes unserer Zeit" verwendeten Perückenkopf. Die Schneiderpuppe war ikonografisches Merkmal der Dadaisten. Auch hier verwendet Höch also Applikationaen als Attributionen. Hausmanns Kopf bezeichnene zwei große als Frage- wie auch aus Ausrufezeichen zu lesende Gebilde.Einer der Punkte öffnet sich in der Umfassung des deklamierendenMundes. Der Blick geht an dem ihren vorbei nach oben. Dagegen ist Höchs Augenmerk starr auf den Kopf Hausmanns gerichtet.Sie hört ihm zu,während ihr Mund von der naturalistischen Darstellung eines Babys verschlossen ist. Ihren Hinterkopf bezeichnen Tannen, die den Wald ihrer Thüringer Heimat symbolisieren. Zwischen beiden Köpfen schwebt eine goldene, leuchtende Sonnenkugel, die ihre Strahlen auf die Stirn Hannah Höchs wirft.Wie eingeritzt erscheinen an seinem Hals eine nackte, dicke lamentierende Frau, welcher ein dünner ebenfalls nackter Mann entkommt, der etwas nicht zu Indentifizierendes in den Händen fortträgt.
Höch war Dadaistin, Fotomonteurin und flexibles, kritisches Mitglied der Berliner Dada-Gesellschaft. Ihr persönliches Schicksal stellte sie jedoch in ausgearbeiter Form und der traditionellen Technik des Ölbildes dar.Sie nutzte dabei souverän die formalen Neuentwicklungen der dada-Zeit und entwickelte eine vollkommen eigene Bildprache.Höch konnte ihrer Heimat, ihrer Familie und den Werten derbürgelich- wilhelminischenGesellschaft nicht radikal entsagen, wie Hausmann das von ihr forderte. Aber auch er ist noch ganz der Sehnsucht nach Gemeinschaft, wie sie sich vor der Jahrundertwende herausgebildete, verhaftet, wenn er 1918 dem Trennungswunsch Höchs entgegenhält: "und wenn im Buch "Sprung aus der Welt" (vonFranz Jung D.G.) alle egoistisch sein müssen - so ist das doch hier dann das gleiche. - Jeder ginge dann woanders hin, allein! Und der Wunsch wieder mit Pflanzen Sonne, ohne Verdrängung zu leben, bliebe Wunsch oder Verdrängung. Denn nie hat bis heute ein Mensch ohne Verdrängung gelebt: die Liebe zu denPflanzen und Bergen muß die Liebe zum Kind und zur Gemeinschaft verdrängen ( ... ) Also bliebe nur die Liebe zum Kind und damit doch ein Ziel, das nicht nur im "Sprung aus derWelt" noch nicht erreicht ist: Gemeinschaft 5 ) Diese Inhalte zitiert Höch in "Zwei Köpfe" : die Sonne, die Pflanzen, das Kind, den Appell Hausmanns. Hausmann selber kennzeichnet ihre Person in frühenPortraits ebenso durch die Bäume ihrer Heimat, ihrer Herkunft, von der sie sich nicht vollständig lösen wollte.
Seit etwa 1920 wurde derFall Höch /Hausmann auch im Freundeskreis der beiden diskutiert.Schon das politisch gefärbte DadaElaborat Baaders "Die Jungfrau Maria zum Schutze Deutschlands angerufen. Die Erhebung der unbefleckten Empfängnis zur Staatsreligion bevorstehend" war unter anderem als Kommentar zu dechiffrieren und zwar zu diesem Zeitpunkt auch schon für den Kreis der Interessierten, denen Hausmanns Veröffentlichungen zum Thema nicht entgangen waren. 4)Plastisch tritt die Höch zugedachte Rolle in den Briefen Hausmanns hervor. "Und dann wird es einmal so sein, daß Du, Jungfräuliche in unbefleckter Empfängnis unsern Sohn gebärst." 5)
Auch die kleine Collage "Wenzel Kind" (1921) die als Freundschaftsbild von Schwitters an Hausmann anzusehen ist, mischt sich in die Reihe eindeutig Partei ergreifender Kommentare.Die Sixtinische Madonna wird als passende Grundlage der Abbildung einer Fraktion Berliner Dadaisten genutzt. "Wenzel Kind" war nämlich der zeitweilige Spitz- und Markenname von Schwitters für Hausmann 6) , den er aber hier als in seinen Geistesgespinsten zum Christuskind Verkommenen bloßstellt.Der Papst ist Johannes Baader Oberdada, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Anspruch auf die "sella curulis" im Petersdom anmeldet. Hannah Höch spielt störrisch-gefaßt die reine Jungfrau, die den Dadasophen unbefleckt empfangen und gebären konnte. Gleichzeitig trägt sie die Maske der Anna Blume des populären Schwitterschen Gedichtes und ist demnach wie diese von hinten wie von vorne H-A-N-N-A-H, eine Geliebte seiner 27 Sinne. .
Anmerkungen: .
1.Lust en Gratie No19 Herfst 1988 (Sondernnummer Hannah Höch Til Brugman) Maud Lavin: Hannah Höch Photomontage and the Representation of the New Woman in Weimar Germany 1918 - 1933 unveröffentlicht Diss New York 1989.
2 .Hannah Höch Archiv Berlinsche Galerie Berlin3. Raoul Hausmann an Hannah Höch Berlin 20.6.1018 (unveröfftl. Br.) .
4. u.a. Der Mensch ergreift Besitz von sich In DieAktion No7, 1917 14/15 7.4.1917.
Der Besitzbegriff in der Familie und das Recht auf den eigenen KörperIn Die Erde 1, 1919 (15.4.1919) .
5. Raoul Hausmann an Hannah Höch Berlin 11. 7. 1918 unveröffentlichter Brief.
6. Kurt Schwitters an Raoul Hausmann Hannover 10. 9 1921 Brief.